Vom tieferen Sinn der Abschlussarbeit in der Qigong-Ausbildung

Das selbstständige Verfassen einer Abschlussarbeit ist ein wichtiger und integrativer Bestandteil der Ausbildung zur Qigong-Kursleitung. Manche empfinden das als überflüssig, andere als lästig, weil zu akademisch geprägt.

17.12.2021 -  Es ginge doch um die Praxis und nicht um die Fähigkeit, „irgendetwas aus verschiedenen Büchern zusammenzustellen“, so lauten die Einwände gegen diese Prüfungs-Grundbedingung. Vor allem sollten doch die Prüfer nicht „so pingelig sein“, indem sie das Fehlen einer logisch ausgearbeiteten Gliederung und die Häufung von Rechtschreibfehlern in die Bewertung einfließen lassen. Argumentationen, die man, wenn man ehrlich ist, bereits in jeder Schule und am Ende eines Studiums schon mal vernommen hat. Man kann das aber auch etwas anders sehen. Das haben die Prüflinge in Altdorf in großer Übereinstimmung festgestellt.

Mit der Beurteilung der Abschlussarbeit – im Rückblick gesehen - hat sich die Ausbildungsgruppe am Standort Altdorf (bei Nürnberg) beim Prüfungswochenende im Juni 2021 intensiver als sonst befasst. Fast einen kompletten Vormittag haben alle Prüflinge das Thema ihrer Abschlussarbeit vorgetragen und deren Stellenwert im eigenen Lernprozess eingeordnet. In einem weiteren Schritt haben die „frischgebackenen“ Kursleiterinnen und Kursleiter diese Erkenntnisse schriftlich ausformuliert. Hier die Zusammenfassung der Ergebnisse (zum Schutz der Persönlichkeit werden die jeweiligen Nachnamen nur mit dem Anfangsbuchstaben genannt):

Steffi B. hat es kurz und knapp auf den Punkt gebracht: „Das Schreiben der Abschlussarbeit war wichtig für mich, weil ich mich intensiv und klar formuliert mit meinem Weg mit Qigong auseinandergesetzt habe. Das war spannend, erkenntnisreich und hat mich glücklich gemacht.“

Die Problematik einer erstmaligen Abfassung einer schriftlichen Arbeit hat Margret B. so beschrieben: „Da ich kein Studium absolviert habe und daher auch nicht in eine Situation gekommen bin, eine Abschlussarbeit zu verfassen, war es für mich eine Herausforderung, mein angelesenes Wissen mit meinem Erfahrungsbericht zu kombinieren und daraufhin meine Abschlussarbeit zu schreiben, also als Miniaturexemplar herausgearbeitet, was andere als Prüfungsarbeit in ihrem Studium gestalten.“ Diese besondere Anforderung hat sich Margret schon recht früh gestellt, sagt sie: „Die Abschlussarbeit hat mich von Anfang an beschäftigt, und ich hatte mir vorgenommen, diese nicht auf den letzten Drücker zu verfassen. Es sollte ja ein Erfahrungsbericht sein.“ Und tatsächlich - sie hat die Arbeit als allererste abgegeben.

Cordelia S. ist es tatsächlich erst beim Schreiben aufgegangen, „wie viel und was genau sich alles bei mir während der Zeit der Ausbildung zur Qigong-Kursleiterin durch Qigong getan hat“.
Erst beim tatsächlichen Abfassen und Niederschreiben ist bei ihr ein „Bewusstwerdungsprozess“ in Gang gesetzt worden, der „mir die Verbindung von während der Ausbildung theoretisch Gelerntem zu meinem persönlichen Erleben deutlich werden ließ und dadurch zu einer Vertiefung meines Lernens geführt hat“. Dadurch habe sie auch eine „Grund-Gelassenheit als guter Ausgangsbasis für eine zukünftige Tätigkeit als Qigong-Kursleiterin gewonnen“.

Gerade für die Reflektion und nochmalige Auseinandersetzung mit der eigenen persönlichen Entwicklung während der fast dreijährigen Ausbildungszeit war die Abschlussarbeit absolut wertvoll, meint Gerti G. „Es war eine tiefgehende ‚Seelenarbeit‘, die mich an manchen Stellen sehr stark bewegte, sowohl freudvoll als auch traurig stimmte. Und dabei stieß ich gefühlt ‚nebenbei‘ auf grundlegende Qigong-Prinzipien, wie etwa die Einheit von Körper, Geist und Seele oder wie wichtig die richtige Haltung beim Qigong-Üben ist. Auf diese Weise vertieften sich die während der Ausbildung gewonnenen Kenntnisse.“

Auch für Birgit R. wurden beim Erstellen der Abschlussarbeit viele theoretischen Inhalte klarer. Ihre Wahrnehmung bezüglich „Menschen, Tiere, Pflanzen und des Kosmos“ hat sich verändert und vertieft. Damit könne man „etwas Kostbares und Bleibendes für sich selbst“ gewinnen, sagt sie.

Die eigene persönliche Betroffenheit – ein schwerer Fahrradunfall – war für Harald P. entscheidender Faktor für die Motivation, „die Erstellung der Arbeit zu nutzen, um das bislang in der Ausbildung Erlebte und Erlernte in einer plötzlichen herausfordernden Lebenssituation umzusetzen“. Auf diese Weise kam es bei ihm zu dem Thema: „Qigong mit Handicap – Was tun, wenn ein Oberarm nicht mehr bewegt werden kann?“ Das Erstellen der Abschlussarbeit wirkt bei ihm lange nach und „wird dies weiter tun“, schreibt er. Abschließend stellt er die Frage in den Raum, ob der Begriff „Abschlussarbeit“ beim Erlernen und Ausüben von Qigong überhaupt korrekt ist: „Ist es nicht eher Teil eines ‚Einstiegs‘ in ‚Qigong geht immer‘“, fragt Harald. Sind das nicht wichtige Hinweise für die Ausbildenden und hoffnungsvolle Tipps für alle Lernenden?

Zusammenstellung der Texte und Foto: Ralf Jakob